Geht man einkaufen und sieht die Lebensmittelregale mit der großen Palette an Nahrungsmitteln für Lactose- und Glutenunverträglichkeit und hört man Gesprächen zu, könnte der Eindruck entstehen, dass ein Viertel der Bevölkerung betroffen ist. Ist das wirklich so?

Weizensensitivität tritt bei bis zu 6 % der Bevölkerung auf, häufig betroffen sind Frauen mittleren und jüngeren Alters sowie Reizdarmpatienten. Schätzung gehen zusätzlich von ca. 6-12 % der Bevölkerung aus, welche Gluten vermeiden, ohne dafür eine ärztliche Diagnose erhalten zu haben. (DGVS, 2014; Scherf, Koehler & Wieser, 2016; Catassi, et al.,2017)

Der Pro-Kopf-Nahrungsverbrauch von Getreide liegt global gesehen für 2016/17 bei etwa 149 kg/Kopf und Jahr. Davon macht Weizen mit 67 kg den Hauptanteil aus. (Schmid & Goldhofer, 2017)

Ist es nur der Weizen und kann ich Dinkel essen? Darf ich nie wieder Weizen essen? Was kann ich dann noch essen? Es sind fast immer die gleichen Fragen und Bedenken, sich ohne Getreide zu ernähren. Und ja – ich kann es verstehen, denn eine glutenfreie Ernährung ist eine Herausforderung. Den meisten fällt es schwer auf Brot und Teigwaren zu verzichten, wenn die Beschwerden und der Zusammenhang nicht sofort spürbar sind. Es ist ein entscheidender Schritt von dem Gedanken: ich darf keine Getreideprodukte essen, hin zu: ich vermeide Getreideprodukte für eine bestimmte Zeit.

Die Glutenintoleranz ist wie ein Chamäleon. Es verbirgt sich ursächlich in jeden Lebensphasen hinter unterschiedlichen Erkrankungen. Hautausschläge, Reizdarm, Allergien, Gelenkschwellungen und Müdigkeit können mit einer Glutenunverträglichkeit zusammenhängen und plötzlich in jedem Alter auftreten. Durch Zufall entdeckt man den Zusammenhang und hat den Verdacht, dass es sich um eine Unverträglichkeit handeln könnte. Bei Kindern ist es das Hauptallergen bei atopischen Hautentzündungen (Neurodermitis), unklare Magen-Darmerkrankungen, respiratorische Erkrankungen wie Nasennebenhöhleninfekte und Asthma.

Aber …

Wie ist das genau mit der Weizenallergie, Weizen-Glutensensitivität, ATI und Zöliakie?

Weizenallergie

Bei der Weizenallergie reagiert der Körper auf die im Weizen enthaltenen Proteine mit allergischen Reaktionen. Auslöser sind unterschiedliche Eiweißbestandteile wie Weizen-Albumin, Globulin und Klebereiweiß (Gluten) im Mehl. Die Symptome reichen von akut auftretenden juckenden Quaddeln und Schwellungen der Haut, bis hin zu lebensbedrohlichen Beschwerden. Sie treten nach dem Verzehr von Weizen in Kombination mit einem Trigger wie Anstrengung, Sport, Alkohol und Arzneimittel auf. Zur Diagnose muss ein spezieller Allergietest durchgeführt werden. Bei Bäcker sind Weizen-Allergien sehr verbreitet. Weizenmehl wirkt als Allergieauslöser und verursacht Bäckerasthma. Die Zeitdauer von Nahrungsaufnahme zu Symptomen dauern Minuten bis Stunden. Sie ist im Verhältnis zur Glutensensitivität nicht so häufig. Allergische Reaktionen auf Weizen und Weizenprodukte sind eher selten. Etwa 0,1 Prozent der Menschen in Europa sind betroffen. Bei Kindern ist die Zahl etwas höher bei 0,3 Prozent.

Zöliakie

Zöliakie ist eine bekannte Autoimmunerkrankung im Darm, die auf einer Glutenunverträglichkeit basiert. Gluten ist schwer verdaulich, bindet sich an die Darmzellen und stimuliert das Immunsystem in einer Art und Weise, dass das Immunsystem die Darmzellen angreift und entzündet. Die Erkrankung ist meist angeboren. Die Unverträglichkeit bleibt lebenslang bestehen. Der Nachweis wird durch Bestimmung von Antikörpern im Blut und einer Dünndarmbiopsie bewiesen. Zöliakie kann durch Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall auffällig werden. Hier muss eine lebenslange, glutenfreie Diät eingehalten werden. Selbst Spuren an einem Messer, mit dem zuvor ein glutenhaltiges Brot geschnitten wurde, muss vermieden werden.

Glutensensitivität

Unter Glutensensitivität versteht man eine Überempfindlichkeit gegenüber Gluten und anderen Inhaltsstoffen von Getreide. Auch hierbei handelt es um eine Gruppe von Proteinen, die in Weizen und fast allen Getreiden vorkommen. Glutensensitivität ist weder eine Zöliakie noch eine echte Intoleranz. Andere Namen dafür sind Weizen-Gluten-Unverträglichkeit oder Zöliakie-unabhängige-Weizenimpfindlichkeit. Symptome: Schwellungen im Rachen, in der Nase, in den Augen, Kratzgefühl im Hals, Atembeschwerden, Hautausschläge, Blähungen, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Durchfall, Hyperaktivität, Gelenk- und Muskelschmerzen.

ATIs

Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz: ATI, sind pflanzliche Eiweiße, die unter anderem bei der Keimung eine Rolle spielen und die Pflanzen vor Fressfeinden schützen. Sie sind insbesondere in glutenhaltigen Getreide wie Weizen, Roggen und Gerste enthalten, in Weizen aber besonders hoch konzentriert. Zum Zweck der Ertragssteigerung und zur Einsparung von Pflanzenschutzmitteln wurden Getreidesorten gezüchtet, die größere Mengen an ATI produzieren. Auch in anderen Getreiden, die mit Weizen verwandt sind, stecken ATI: in Roggen, Dinkel, Emmer, Gerste, Einkorn und Khorasan-Weizen. Allerdings weisen ältere Getreide wie z.B. Dinkel, Emmer u.a. um bis zu 50 % weniger ATI auf.

Sie sind auch hochrestistent gegenüber dem Verdauungstrakt und bleiben während der Passage durch den Verdauungstrakt weitgehend erhalten. Durch ATI werden unsere Verdauungsenzyme Amylase und Trypsin gehemmt.  Amylase ist für die Verdauung von Stärke verantwortlich und Trypsin hilft bei der Spaltung von Proteinen im Dünndarm. Die Hemmung der Enzyme führt zu Verdauungsproblemen wie Blähbauch, aber auch ganz konkret zu einer unvollständigen Spaltung des Weizen-Glutens. Als Folge verbleibt mehr Gliadin und Gliadorphin im Darm und damit erhöhen sich direkt die Entzündungswerte des Darms. Es gibt aus präklinischen Untersuchungen Hinweise darauf, dass die ATIs in Weizen und anderen glutenhaltigen Getreidearten stärkere Entzündungsreaktionen im Darm hervorrufen als ATIs in glutenfreien Lebensmitteln. Die Zeitdauer von Nahrungsaufnahme zu Symptomen sind Stunden bis Tage.

In welchen Nahrungsmitteln ist Gluten enthalten?

Getreidesorten die glutenhaltig sind:

  • Weizen
  • Gerste
  • Roggen
  • Hafer, sofern dieser nicht als glutenfrei gekennzeichnet ist
  • Dinkel
  • Grünkern
  • Sogenannte „Urgetreide“: Urkorn, Einkorn, Kamut, Emmer, Rotkorn.

Getreide ist der Grundbestandteil vieler Lebensmittel, die im täglichen Leben verzehrt werden: Müsli, Brot und Brötchen, Pasta, Pizzaböden, Gebäck und Kuchen. Alle diese Lebensmittel müssen bei einer glutenfreien Ernährung durch Alternativen ersetzt werden.

Welche Lebensmittel können noch Gluten enthalten?

Viele verarbeitete Lebensmittel, deren Hauptbestandteile nicht getreidehaltig sind, enthalten dennoch Getreideprodukte oder Klebereiweiße (Gluten) als Hilfsstoffe. Die Zutaten müssen auf der Verpackung deklariert werden. Es werden dann Weizenstärke oder Weizenmehl in der Zutatenliste genannt. Häufig glutenhaltig sind unter anderem:

  • Wurst und verarbeitete Fleischwaren
  • Teigwaren, die primär aus Kartoffeln hergestellt werden: Klöße, Schupfnudeln oder Gnocchi
  • Frischkäse, Weichkäse und manche weiteren Käsesorten
  • Lebensmittel mit Aromen wie Eis, Fruchtshakes, Süßstoffe
  • Stark verarbeitete Lebensmittel mit vielen Zusatzstoffen: Light-Produkte, Dosenprodukte mit Fertigsoßen, Fertiggerichte etc.
  • Panierte Lebensmittel.

Was kann ich als Ersatz nehmen?

Maisstärke, Reismehl, Chia, Kastanien- und Johannisbrotmehl, Goldhirse, Tapioka Teffmehl (Mehl aus dem Samen der Zwerghirse). Kichererbsen, Traubenkernmehl, Guarkernmehl.

Kartoffeln, Mais, Reis, Reisnudeln, Maisnudeln, echte asiatische Glasnudeln, Nudeln aus gemahlenen Hülsenfrüchten

Pseudogetreide sind die Körner (Früchte) von Pflanzen, die nicht aus der Familie der Süßgräser stammen, Hirse, Buchweizen, glutenfreier Hafer, Reis, Mais.

Amaranth und Quinoa hingegen sind Fuchsschwanzgewächse mit entsprechend anderen Eigenschaften und Inhaltsstoffen. Sie enthalten unter anderem kein Gluten und auch keine der besonders im modernen Weizen bedenklichen Exorphine.

Kurz: Ein Pseudogetreide sieht aus wie Getreide und lässt sich so verwenden, ist aber keines.

Was macht Gluten?

Gluten beeinflusst entscheidend die Backfähigkeit von Weizen. In diesem Zusammenhang ist mit Gluten das Kleberprotein gemeint, das nach dem Auswaschen von Weizenmehl mit Wasser oder Salzlösung zurückbleibt. Bei Weizen bilden somit die Proteine der Gliadine und Glutenine das Klebergerüst aus

Darüber hinaus ist Gluten ein Trigger für Milieustörungen und Darmentzündungen. Gelangt das Klebereiweiß nun in den Dünndarm, kann es die Schleimhäute reizen – und der Darm kann sich entzünden, was schwerwiegende Folgen hat. Es kommt zu Krämpfen, Durchfällen, Schwindelgefühlen oder Verstopfung.

Deshalb sollte begleitend zur Nahrungskarenz eine Behandlung für die Ausheilung der Darmwand stattfinden.

Eine Glutensensitivität kann nach einer gewissen Zeit wieder verschwinden. Bei einer Zöliakie sollte man ein Leben lang auf Gluten verzichten.

Ist der Verdacht einer Glutensensitivitätvität gegeben, ist es wichtig, einige Wochen möglichst glutenarm zu essen. Bereits nach 14 Tagen lässt sich kein Gluten mehr nachweisen.

Bei einer langjährigen Neurodermitis, Störungen der Verdauung, Hautproblemen oder Allergien, kann eine längere Karenzzeit notwendig sein. Bis zu einem Jahr, bei schweren Belastungen.

Hat sich das Beschwerdebild nach einer Karenzzeit erst einmal gebessert, genügt es bei vielen Patienten, glutenhaltige Lebensmittel zu reduzieren, vornehmlich über die Einschränkung von Brot, Nudeln und Kuchen im täglichen Speiseplan.

Wenn eine glutenfreie Diät aus individuellen Gründen nicht gelebt werden kann, bietet die Einnahme von proteolytischen Enzymen eine sinnvolle Möglichkeit zur Vermeidung von Immunreaktionen durch unverdaute Eiweiße. Das ersetzt aber eine Glutenkarenz.

Wie kann man eine Unverträglichkeit testen?

Eine Glutenunverträglichkeit kann im Blut und Stuhl getestet werden. Bei einer Zöliakie muss auf jeden Fall eine Antikörper-Untersuchung im Blut durchgeführt werden. Für diejenigen, die es ganz zuverlässig wissen wollen, lasse ich detaillierte Laboruntersuchungen durchführen.

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